Der Stabenumzug kehrt mit Trommeln und Trompeten zurück

Der Stabenumzug kehrt trotz leichtem Regen nach dreijähriger Pause zurück. Für die Beteiligten ist es ein besonderer Tag – nicht nur für die Kinder.

VON DOMINIK DURNER

Nach Tagen brütender Hitze und gleißendem Sonnenschein rückte nicht nur der Kalender näher an den Stabenmontag, auch der bange Blick auf den Wetterbericht wurde intensiver. Drei müßige Jahre voller Entbehrungen und des Wartens finden aber an diesem Montagmorgen ihr Ende: Vom Kirchturm Daniel der Georgskirche weht am Morgen die Vier-Fahnen-Formation aus der Türmerstube. Dem geneigten Staben-Kenner und sowieso allen Riesern ist mit dem Aufflattern der Bundes-schwarz-rot-goldenen, der bayerisch-weiß-blauen, der Nördlinger weiß-roten und dem Wehen einer schwarz-rot-schwarzen Flagge klar: Der Stabenumzug ist wieder da. Es ist ein Tag der ganz besonderen Art, in vielerlei Hinsicht.

 

Mit Sicherheit ging über das Wochenende eine Flut an Wünschen und Stoßgebeten bei Petrus, vor allem aber beim Deutschen Wetterdienst ein – für den Beginn des Stabenumzugs war nämlich ein Gewitter vorhergesagt. “Das hätte auch wirklich nicht sein müssen”, sagt Oberbürgermeister David Wittner gegenüber unserer Redaktion, “jetzt darf alles stattfinden, nur beim Umzug soll es wegen solcher Wetterkapriolen dann scheitern?”

2400 Kinder und Jugendliche laufen beim Stabenumzug in Nördlingen mit

Gerade für den Oberbürgermeister waren es turbulente Tage: “Ich habe nicht so gut geschlafen.” Neben dem Hoffen und Bangen, dass mit dem Wetter alles glattgeht, ist dieser Stabenmontag für ihn ein ganz besonderer Tag: Wittner darf als Nördlinger OB erstmals den Stabenumzug von der anderen Seite erleben. “Das war fantastisch, ich kann das jetzt nur nach und nach verarbeiten”, sagt Wittner. Für ihn stehen aber andere im Vordergrund: “Ich freue mich wahnsinnig für die Kinder, die haben dem Umzug so entgegengefiebert.”

Insgesamt knappe 2400 Schülerinnen und Schüler, Bläserinnen und Bläser laufen in diesem Jahr beim Umzug mit. Wie immer sind sie mit Kränzen und Fahnen geschmückt, in Tracht gekleidet, abgerundet von einem breiten Grinsen. Das wird nur beim Singen unterbrochen: Zum ersten Mal seit 2019 tönt das Stabenlied wieder durch die Straßen “Nearles”. Es ist eine klanggewaltige Rückkehr, mit Tausenden Blasinstrumenten, Trommeln und vor allem Stimmen, denn auch die stolzen Eltern und Großeltern am Wegesrand singen mit. Und es verfehlt seine Wirkung nicht – neben zahlreichen Kameras und Winkeinlagen gibt es viele strahlende Gesichter zu erkennen, die vom Parkplatz “Alte Turnhalle” über den Marktplatz bis zur Kaiserwiese die Umzugsroute säumen.

Auch wenn es bei diesem Stabenumzug nicht ganz trocken bleibt – glücklicherweise zumindest ohne Gewitter –, das schmuddelige Wetter tut der glänzenden Stimmung keinen Abbruch. “Heute hätts auch schneien können, das wär’ auch so durchgezogen und ein Riesending geworden”, lassen mehrere Zuschauer am Wegesrand vernehmen. Es entwickelt sich sogar in die andere Richtung; nach einer Weile lässt der Regen zunächst nach, ehe er komplett aufhört. Erst nach dem Einzug auf der Kaiserwiese beginnt es wieder, leicht zu nieseln; da ist den Kindern ihr “schönster Tag im Jahr” aber schon nicht mehr zu nehmen.

 

Drei Jahrgänge dürfen 2022 erstmals beim Stabenumzug mitlaufen

Auch wenn unabhängig vom Wetter für die mitlaufenden Schülerinnen und Schüler im Ries der Stabenmontag stets ein schulfreier Tag ist, so könnte der Missmut nicht größer sein, falls es denn tatsächlich zu einem Ausfall käme. Zu akribisch ist die Vorbereitung, zu grenzenlos die Vorfreude auf das wahrscheinlich älteste Kinderfest Deutschlands, gerade nach drei Jahren der erzwungenen Pause. Der Stabenumzug 2022 ist zudem in einer weiteren Hinsicht ein ganz besonderer: Es dürfen in diesem Jahr gleich drei Jahrgänge erstmals mitlaufen.

Beispielsweise für einen der beiden Söhne von Stefan Rauer aus Wallerstein. “Der eine geht schon in die vierte Klasse, der andere in die erste”, sagt Rauer, er blickt auf den Markplatz und die eintrudelnden Stabengänger. Vor ihm steht sein drittes Kind, die kleine Franka. “Sie erlebt zum ersten Mal den Stabenumzug und kann es kaum erwarten, dass ihre Brüder vorbeikommen”, sagt Rauer. Es sei einfach schön, dass man nach der Pandemie endlich wieder so zusammenkommt. Ähnlich sieht es auch der Dirigent der Musikkapelle Reimlingen, Karsten Sell: “Super, dass der Stabenumzug wieder da ist.” Für Kapellen wie seine seien die vergangenen drei Jahre ebenfalls keine leichte Zeit gewesen, sagt Sell: “Zum Glück sind wir zusammengeblieben.” Ähnlich wie bei den drei Jahrgängen, die erstmals mitlaufen dürfen, gibt es auch in der Reimlinger Kapelle einige, für die es dieses Jahr der erste Stabenumzug ist, “obwohl sie auch schon drei Jahre dabei sind”. Sell selbst kommt aus Nördlingen und ist als Kind auch schon mitgelaufen: “Das gehört einfach dazu.”

Der Regen hat nach der Zwangspause gewissermaßen etwas Symbolisches

In einer anderen Kapelle, der Knabenkapelle Nördlingen, spielt indessen der Sohn von Simone Kling mit. Sie steht mit den Großeltern Ingrid und Rudolf Kirchenbauer an der Kaiserwiese; Klings Eltern erinnern sich zurück an die Zeit, als ihre Tochter selbst noch mitlief: “Damals wie heute ist das ein aufregender Tag. Wir haben auch immer die Kränze selbst gemacht, für unsere Tochter und für die Nachbarn.” Drei oder vier Kränze banden sie jedes Jahr, mit Blumen aus der Wiese oder dem Garten. “Nachts haben wir sie dann in den Garten gelegt, damit sie frisch bleiben. Am nächsten Morgen sind dann immer die Schnecken rausgekrochen”, sagt Ingrid Kirchenbaur und lacht.

Kränze gibt es auch in diesem Jahr zahlreiche, genauso wie Fahnen. Die lobt OB David Wittner auch explizit in seiner Rede nach der traditionellen Huldigung, für ihn ist es die Allererste. Und der Huldigungsdebütant geht auch auf das willkürliche Wetter ein: “Keine Sorge, es regnet auch nachmittags.” Nachdem er als Kind Nördlingens selbst schon häufig Teil der bunten Umzugstraube gewesen ist, weiß Wittner bei seiner ersten Rede, wie er die Kinder mitreißen kann. Mehrmals fordert er sie nämlich auf: “Zeigt uns alle nochmal eure tollen Kränze und Fahnen”, gefolgt von tosendem Jubel und Applaus, vom Markplatz selbst ebenso wie vom Straßenrand.

Und auch der Umzugsorganisator Ronny Birzele ist heilfroh und sprichwörtlich sprachlos, dass alles glattgegangen ist: “Zum Glück hat alles funktioniert, ich habe nur keine Stimme mehr.” Von den Kindern sei auch keines verloren gegangen, sagt Birzele: “Nur die Ehrengäste habe ich kurz mal aus den Augen verloren.” Zum abschließenden Aufmarsch auf der Kaiserwiese finden sich aber auch dort alle auf der Ehrentribüne wieder. So haben die kurzen Regenschauer vielleicht auch etwas Symbolisches: Die Entbehrungen der vergangenen Jahre sind mit der Rückkehr des Stabenumzugs gewissermaßen wie weggewaschen.